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Ein typisches Zeichen für eine Spätzyklusphase
Ein typisches Zeichen für eine Spätzyklusphase ist das Wechselbad der Gefühle
Herr Picenoni, in Ihrem jüngsten Newsletter ist von einem Spätzyklus die Rede, der Anlegern ein Wechselbad der Gefühle bereitet. Können Sie diese Aussage näher erläutern?
Wir befinden uns in der Spätzyklusphase eines - historisch betrachtet - extrem langen Wirtschafts- und Börsenaufschwungs. Ein typisches Zeichen ist das Wechselbad der Gefühle, das Anlegern in den letzten 18 Monaten bereitet wurde: Das Jahr 2018 hat mit einer euphorischen Stimmung an den Märkten gestartet. Man ging von Wachstum und Goldilocks für immer aus und feierte neue Hochs. Dann der Schock: Die Angst vor höheren Zinsen (aufgrund der guten Wachstumszahlen) liess Märkte deutlich korrigieren. Einige Short-Vola-Fonds hat es besonders getroffen und mussten innert kürzester Zeit herbe Verluste hinnehmen. Von April bis September 2018 folgte die Erholung. Das Vertrauen in Goldilocks, Wachstum und Tech-Riesen kehrte nach und nach zurück - neue Hochs im S&P und NASDAQ wurden verzeichnet. Dann drehten die Märkte wieder nach unten. Im September und besonders im Dezember, mit Ankündigung weiterer Zinserhöhungs- und Quantitative- Tightening-Schritten der US-Fed, korrigierten die Märkte entsprechend heftig. Im Dezember konnte man von «Panik» sprechen. Auf diese «Panik» folgte eine extreme Gegenbewegung aufgrund einer 180-Grad-Wende der US-Zentralbank, die zu Beginn des 2019 lautete: «Möglicherweise doch keine weiteren Zinserhöhungen und kein automatisiertes Quantitative Tightening.» Im Mai 2019 dann wiederum eine Korrektur an den Aktienmärkten (S&P 500 -6,6 Prozent, NASDAQ - 8,4 Prozent, DAX - 5,0 Prozent). Gleichzeitig sanken Anleihenrenditen deutlich (10-jährige US-Staatsanleihe bei 2,1 Prozent, 10-jährige Bundesanleihen bei - 0,2 Prozent). Doch EZB und Fed bestärkten Märkte im Glauben, dass das «New Normal» noch eine Weile bestehen wird und Notenbanken an ihrer Seite stehen. Fast alle Asset-Klassen drehten im Juni dann wieder nach oben: Gold, Öl, Anleihen, Aktien, Bitcoins, etc. Das sind schon heftige und abrupte Richtungswechsel. Professionellen Anlegern sind solche Bewegungen nicht unbekannt. Dieses kurzfristige Rauschen richtig einzuordnen ist Teil ihrer Aufgabe und eröffnet hie und da auch Anlagechancen aufgrund von kurz- und mittelfristigen Verwerfungen.
Welche Rolle spielen dabei die Notenbanken, allen voran die Fed?
Eine immense Rolle. Die Rolle der Zentralbanken ist im aktuellen Umfeld nicht zu unterschätzen. In der Führung steht hier, ohne jeden Zweifel, die US-Fed. Sie wacht über die grösste Wirtschaft der Welt, über die grössten Finanzmärkte der Welt und nicht zuletzt über die Weltreservewährung. Die Fed hat die Zinsen neunmal seit 2016 erhöht. Dazu kommen die Effekte aus dem «Quantitative Tightening», also der Bilanzverkürzung. Insgesamt kann man von Effekten äquivalent zu Zinserhöhungen von rund 5 Prozent ausgehen - das wären 20 Erhöhungen à 25 Basispunkten. Ohne die Kehrtwende der Fed im Januar dieses Jahres hätten die Märkte höchstwahrscheinlich weiter korrigiert. Gegebenenfalls hätte es trotzdem im Januar eine Gegenbewegung gegeben, aber mit grosser Sicherheit wäre diese viel geringer und viel kürzer ausgefallen. Auch die Korrektur im Mai hätte sich wohl im Juni fortgesetzt und tiefere Einschnitte nach sich gezogen, hätten die Zentralbanken, und allen voran die US-Fed - aber auch die EZB, sich nicht «taubenhaft» geäussert. Ohne diesen Rückenwind hätte ein «wash-out» wahrscheinlich im Juni stattgefunden. An den fundamentalen Wirtschaftsaussichten - ausser einer bereits seit Monaten antizipierten Abflachung der Dynamik bzw. Konjunkturabkühlung - hat sich nicht viel geändert. Mittel- und langfristig können Zentralbanken allerdings nicht für immer die Kastanien aus dem Feuer holen. Notenbanken können den Zyklus künstlich sicherlich verlängern. Das sehen wir nicht zuletzt seit Jahren in Europa: Hier steht dem politischen Stillstand und mangelnden fiskalpolitischen Anreizen (gar Austerität) vor allem die Niedrigstzinspolitik der EZB entgegen. Gleichzeitig hat die Notenbankpolitik ihre Grenzen: die Realwirtschaft wächst auf niedrigem Niveau und die Inflation steigt nicht.

In der Vergangenheit ist man gut gefahren, bei Rückschlägen einzusteigen oder zuzukaufen. Wird das immer so weitergehen?
Das ist die grosse Frage. Grob kann man in der aktuellen Situation wohl sagen: So lange Notenbanken die Märkte nicht enttäuschen, wird es für die nächsten Monate wohl weiter funktionieren. Marko-ökonomisch können Notenbanken das niedrigere Wachstum und die Handelskriegsrhetorik normalen Ausmasses wohl überdecken. Bewertungen ausserhalb der USA scheinen in Ordnung, und die Stimmung an den Märkten hat sich in den letzten Monaten eingetrübt, dies ist für gewisse Märkte und Regionen positiv zu werten.
Aber selbst der sogenannte Handelskrieg zwischen den USA und China einerseits und Europa anderseits verursacht nur minimale Störfeuer an den Aktienbörsen. Was könnte Anleger denn wirklich nervös machen?
Aktuell und für die nächsten Wochen scheinen die offensichtlichen Hauptgefahren für die Börsen bei weiterhin aggressiver Notenbankrhetorik (und in den USA Rekord-Fiskalimpulsen) moderat: Geldpolitische Fehler, also eine zu rasche Straffung (Geldmenge und Kreditverknappung) wäre wiederum eine 180-Grad-Wende von der aktuellen Fed-Politik. Von dem ist aber nicht mehr auszugehen. Das Platzen des Kreditbooms in China ist aus innenpolitischen Gründen in den nächsten Monaten ebenfalls unwahrscheinlich. Auch eine Eskalation des Handels-/Währungskriegs über das aktuell Erwartete und damit Eskomptierte ist für die nächsten Wochen und Monate nicht wahrscheinlich (gleichzeitig wird es selbst bei einem «best case»-Szenario keinen wirklich «guten und nachhaltigen Deal» geben). Die Chinesen spielen auf Zeit und Trump will in 2020 wiedergewählt werden. Brexit ist weitgehend eskomptiert und wird erst im Oktober wieder aktuell, und auch der Showdown zwischen der EU und Italien wird wohl erst einmal verschoben. Bleibt der Ölpreis. Hier sind die Förderungskapazitäten in den USA zum neuen Ventil für steigende Preise geworden. Bleibt der Schuldenberg an Unternehmensanleihen, die zwischen 2019 und 2021 fällig werden. Diese Refinanzierungswelle ist beim aktuellen Zinsniveau, Goldilocks-Umfeld und der wiederbelebten Jagd nach Rendite sowie einer expansiven US-Fed, verkraftbar. Eine wirkliche Wende wird es wohl erst geben, wenn wir uns wieder glaubhaft vom «New Normal» zum «Old Normal» bewegen oder Märkte nach oben übertreiben. Korrekturen sind aber natürlich jederzeit möglich.
Wo sehen Sie global betrachtet aktuell die besten Investmentchancen?
Die US-Märkte sind recht hoch bewertet, daher würde ich eher auf ein Aufholen, was die Bewertung angeht, vor allem auf Emerging Markets und sekundär auch Europa, das heute keiner auf dem Schirm hat, setzen. Künstliche Intelligenz ist ein Thema, mit dem wir uns aktuell intensiv beschäftigen. Hier gibt und wird es in Zukunft viele Chancen geben. Da viele Unternehmen in diesem Bereich in USA und Asien beheimatet sind, sehen wir selbst im «teuren» US-Markt weiterhin interessante Unternehmen, die zu berücksichtigen sind bzw. die wir bereits in den Portfolios halten. Auf der anderen Seite, solange die Anleihenrenditen weiter sinken, sind «teure» nichtzyklische Unternehmen weiterhin interessant. Gold sollte sich im aktuellen Umfeld sinkender Realrenditen ebenfalls gut entwickeln, auch wenn es aktuell etwas überkauft scheint.
Quelle: Fundspec
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